So klingt die Hauptstadt
Berliner Band "JazzXclamation" um Saxophonistin Kathrin Lemke im Alten Stadtsaal in Speyer zu Gast - Spannungsreiches Konzert

Es ist Musik, wie sie wohl nur in Metropolen wie Berlin komponiert werden kann: pulsierend, vibrierend, frech, gehetzt, quirlig und offen. Sich zwischen dem Free Jazz der 60er, der Avantgarde der 80er und zeitgenössischem Lounge Jazz bewegend und dabei mit ganz eigener Note, nahm die Band um Jazzsaxophonistin Kathrin Lemke die Zuhörer mit auf ein spannungsgeladenes Klangabenteuer.Auf Einladung des "kulturring" um Organisator Christian Straube war die Band nach Speyer gereist. Witz und professionelle Experimentierfreude verströmten die Eigenkompositionen des seit 1998 bestehenden, perfekt aufeinander eingespielten Quartetts. Lässig und unprätentiös überließen die Saxophonistin sowie ihre Bandkollegen Zoran Terzic am Keyboard, Schlagzeuger Peter Horisberger und Kontrabassistin Berit Jung den großen Auftritt ganz allein ihren Instrumenten.
Wie sich modernes Leben in Musik umsetzen lässt, demonstrierten sie eindrucksvoll bei Lemkes dem Computerspiel "Bubble Shooter" gewidmeter Kompostion. Die starre und angespannte Spiel- und Zockwut vor dem Bildschirm in einem Klanggewitter imitierend, steigerte sich die Band in einen musikalischen Spielrausch, eine regelrechte Spielsucht hinein. Die virtuelle Welt wurde zum jazzigen Klangexperiment.
Vom rastlosen Großstadtleben schien das von Lemke mit Querflöte erzählte, von Jazzlegende Eric Dolphy inspirierte Stück "Ebendadort" zu handeln. Wild gegeneinander anspielend und dabei zugleich miteinander kommunizirend formten die Musiker ein unruhiges musikalisches Fragezeichen, schilderten nacherlebbar ein gehetztes Rennen durch eine davonrennende Welt, aus der so viel wie nur möglich - inklusive zahlreicher musikalischer Einflüsse - mitzunehmen ist.
Auch einen ideenreichen "Tierblock" hatten die Berliner Musiker mit im Gepäck. Darunter der Song "Die Rückkehr der Dinosaurier". Hier steigerte sich die Melodie allmählich von mit den Instrumenten imitiertem Getrampel, Urgeschrei und leisem Trippeln zu einer gewaltigen Invasion - zum Ausdruck gebracht in einem fulminanten Schlagzeugfeuerwerk Horisbergers.
Am Ende des zweistündigen Konzertes konnte der Eindruck entstehen, gerade Berliner Großstadtluft geschnuppert zu haben und nicht den Alten Stadtsaal, sondern eine brodelnde Jazz-Kantine der Hauptstadt zu verlassen.


Sonic (9-10/2009)
Mitten in der Gegenwart

von Ulrich Steinmetzger

Die Straße im Prenzlauer Berg ist breit und windgezaust. Das deftige Tiroler Restaurant passt ebenso wenig in das Bild wie die warme Luft der Wahlplakate. Der Balkon aber passt zum Sommer, der Berlin heißt davor, und der Mokka sowieso. Kathrin Lemke ist eine überzeugende Überzeugungstäterin. Sie muss das machen, was sie macht. „Odds and Ends“ heißt ihre neue CD. Als Krimskrams könnte man das übersetzen. Mancher hört darin die gültige Übersetzung des neuen Berliner Lebensgefühls in Töne.

Ohne Scheuklappen

Mit dem, was die Flötistin, Bassklarinettistin, Alt- und Baritonsaxophonistin mit ihrer Band JazzXclamation mitten heraus aus der Hauptstadt in die Ohren schickt, tut sich die Jazzpolizei schwer. Also macht sie, was sie immer macht, vergleicht zugeneigt mit Coleman, Coltrane, Dolphy und Monk, hört Parallelen, formuliert Einflüsse, schubladelt und ist mit sich und der behandelten Sache im Reinen. Ein Schuh, der immer passt und nie. In diesem Fall drückt er mehr als sonst, weil sich diese Musik ebenso der eiligen Kategorisierung entzieht wie sich der sperrige Bandname als Zungenbrecher quer legt im Mund. „Ich hatte mal eine Band, die hieß Protoplasma‘s Little Brother, im Vergleich dazu ist JazzXclamation doch schon besser“, relativiert Kathrin Lemke schmunzelnd. Sie ist so ungefähr das Gegenteil einer kryptische Botschaften streuenden Missionarin. Ironie ist ihr Ding. Unter anderem. Und wer es genau wissen will, findet auf ihrer Webseite einen Lösungsversuch ihrer Quartettformel. Jazz bezeichnet nicht nur eine Musik, sondern heißt auch grell und schreiend, Exclamation bedeutet Aufschrei, Ruf und heftiger Protest. Das große X dazwischen ist gleichermaßen die unbekannte Größe wie das Multiplikationszeichen. Vorhang auf und alle Fragen offen.
„Shit, selten solch eine Musik gehört, die wie ein erfrischendes Vollbad wirkt … Da tropft der Saft des Sounds, und man leckt sich die Lippen, Verzeihung, die Ohren! Ja, die ironische Musik dieser Combo ist Manna für die Hör-Muscheln. Allerdings nicht für jene, die an ihren Ohren verschimmelte Musik-Hüte aufhängen“, frohlockt darüber Jazzpapa Michael Naura. Nicht nur des witzigen Covers wegen wurde im Jahre 2004 JazzXclamations zweiter Streich gefeiert. Die im Kostümchen kostümierte Bandleaderin mit bravem Dalmatiner an der Leine schaut mit großen Augen auf den Titel „Aphrodite Goes Shopping“ und wird im Verlaufe der heftig kurzweiligen Ereignisse irgendwann durchs Megafon rufen: „Lass mich in Ruhe!“ Allenthalben wurde nach dem Erscheinen von etwas Neuem orakelt, von den Klängen einer Metropole von heute, von Freiheit ohne Scheuklappen, vom Thrillerhaften, von Jazz-Rock-Parodien, von Kollektivkrach neben dem zärtlich Verspielten einer Pop-Ballade, kurzum: vom Übersetzen des Berliner Pflasters in Musik. „Wenn das so wahrgenommen wird, ist das doch gut. Kann schon sein, dass es so ist“, kommentiert sie das lapidar.
Tatsächlich: Diese Musik ist frech, dicht, hibbelig, trashig, ungestüm, direkt, offen, verzauselt, bezaubernd, frisch, ruppig, verwaschen, aufgeraut, vital und vieles mehr. Sie hat ihren ganz eigenen Ton, ist ein kompaktes Gebräu, über dem die Solos tanzen. „Wie man dahin kommt? Schwierig. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ein freierer Ansatz bei mir einfach besser klingt. Es klingt befreiter. Es klingt halt nicht gut, wenn ich versuche clean spiele“, sinniert Kathrin Lemke. Und überhaupt ist ja inzwischen auch die Jazzavantgarde gar nicht so selten zu ihrem eigenen Klischee geworden. Geschichte geht nun einmal weiter.
Die von JazzXclamation tut es seit gut zehn Jahren. Die Besetzung ist neu seit 2007, die Haltung ist geblieben: „So langsam habe ich meins gefunden, immer öfter sage ich mir, okay, das bin ich und so soll es sein. Lange habe ich das schon im Ohr, und so langsam bin ich das jetzt auch.“ Der bewusste eigene Ton hat sich herausgeschält. Kleine Stücke bekommen so eine große Wirkung – 17 auf „Aphrodite Goes Shopping“, 14 auf „Odds and Ends“. Und es ist eine der vielen Qualitäten dieser reflektierten und doch sehr spontanen Musik, dass sie ihre Ideen konzise auf den Punkt bringen kann: „Es kommt jemand mit einem Stück und manchmal setzen die anderen das gleich unglaublich um, manchmal ist es gleich super, manchmal dauert es ein paar Monate, bis ein Stück rundgespielt ist. Das ist wie Trial und Error. Und es wird viel diskutiert bei uns.“

Abenteuerspielplatz

JazzXclamation ist ganz unbedingt eine Band, die ihre Ideen gemeinsam erarbeitet, bis sie auf den Punkt gebracht sind. Kathrin Lemke ist die Bandleaderin, die sich um die Organisation kümmert und die meisten Kompositionen beisteuert: „Es passiert nichts mit so einem Impetus, als ob es so und so für mich am schlüssigsten wäre. Ich denke gar nicht, dass ich anders sein möchte, sondern ich nehme den Ton, der mir gefällt. Die Frage steht nicht, etwas aus Prinzip anders zu machen. Es ist halt so, wie es ist.“
Und es ist Berlin, das die Möglichkeiten bietet: „Die Umgebung färbt ja ab auf das, was ich mache. Ich versuche, mich dafür zu öffnen und das hört man dann wahrscheinlich. Ich bin keine Originalberlinerin, fühle mich hier aber mehr zu Hause als vorher in Heidelberg. Das Schnelle an Berlin mag ich unheimlich gerne, in Heidelberg sind die Leute behäbiger. Das war schon ein guter Kick, hierher zu gehen. Hier gibt es viele Kollegen und hier lebt die Musik eben. Ich gehe viel zu Konzerten und auf Jam Sessions. Da spiele ich auch Standards und habe Spaß daran, sie aufzubrechen.“
Die Mitglieder von JazzXclamation kommen aus unterschiedlichen Kontexten. Bassistin Berit Jung ist Sächsin und liebt die freie Improvisation. Schlagzeuger Peter Horisberger aus der Schweiz steht auf „Straight Ahead-Sachen“ und war lange mit Erika Stucky unterwegs, um das sehr andere Songwriting der eidgenössischen Hippie-Heidi zu stützen. Keyboarder Zoran Terzic, Jugo und in Bayern aufgewachsen, ist ein Allround-Genie, promovierter Kulturwissenschaftler, der auch malt, schreibt und alles Mögliche macht. Vielleicht ist man dann unbefangener. Mit seinem quirligen Wurlitzer-E-Piano jedenfalls prägt er ganz entschieden den Sound des Quartetts, zum Beispiel indem er ihn an den seligen Prog-Rock andockt, weswegen beim Hören gar nicht erst Assoziationen zur Jazzhermetik aufkommen.
In der ersten Jahreshälfte wurde intensiv getourt. „Ich glaube wir sind eine Band, die die Leute eher live kriegt.“ JazzXclamation ist ein Abenteuerspielplatz. Was zählt: das Ungewisse. Was nicht sein darf: Routine. „Ich habe neulich einen Konzertmitschnitt von uns gehört und fand es super. Genau so soll es sein, dachte ich. Und beim zweiten Mal fand ich es schon wieder schrecklich.“ Alles bleibt ganz anders aus Prinzip. Dazu komponiert sie in den entsprechenden Stückstrukturen. Die müssen so sein, dass man sich an die Harmonien und Formen genau halten kann, dass man aber auch ganz woanders hin aufbrechen kann. „Das finde ich wichtig. Der ganze freie Jazz kann ja auch schon wieder ein Korsett sein. Ich strebe in meinen Stücken Formen an, die man so oder so füllen kann. Das ist immer mein Konzept gewesen. Stell dir vor, du hast mit jemandem ein richtig gutes Gespräch. Das ist schön, aber man würde doch irre, wenn man das genau so jeden Abend wiederholen wollte. Man will sich doch nicht jeden Abend dasselbe anhören.“ Spontaneität und Planung sind gleich wichtig. Es geht um die immer neu zu definierende Mischung aus beidem. Und die muss mitten in der Gegenwart sein. „Ich schau halt, dass es immer weitergeht, dass es in Bewegung bleibt.“

Spurenelemente

Kathrin Lemke hatte Germanistik, Musikwissenschaften und Politologie studiert, bevor sie sich 1993 ganz der Musik verschrieb und an der Frankfurter Musikwerkstatt bis 1999 im Hauptfach Saxophon studierte. Danach nahm sie Kompositions- und Arrangementunterricht bei Jürgen Friedrich, besuchte Workshops bei Dave Liebman, Lee Konitz, Uli Beckerhoff und Jiri Stivin. 2005 verhalf ihr ein Stipendium des Berliner Senats zu einem ausgedehnten New York-Aufenthalt. „Ich kannte niemanden und war zunächst etwas planlos, wollte Unterricht nehmen, was ich auch tat. Greg Osby war leider gerade auf Tournee. Dann war ich bei unter anderem bei Oliver Lake und Tony Malaby und Marty Ehrlich - und das war total nett. Und ich hörte so viele Konzerte, wie es irgendwie ging. Tagsüber hatte ich eine große Wohnung mit Flussblick und Klavier.“
In ihrer Studienzeit hat sie viele Solos transkribiert, auch wenn ihr Lehrer das gar nicht unbedingt wollte. Gelegentlich tut sie das immer noch. Das Spielen von Transkriptionen dient für sie dazu, ihren musikalischen Horizont zu erweitern. Und vom technischen Aspekt hat es eien ähnliche Funktion wie eine (klassische) Etüde. „Zum Beispiel habe ich jetzt wieder mal eine Weile Charlie Parker mitgespielt, um meine Phrasierung zu verbessern.“ Sie braucht diese Basis, von der man abspringen kann. Dass sie auf die Frage nach ihren drei wichtigsten Platten zunächst Igor Strawinskys „Le sacre du printemps“ nennt, überrascht dann doch. Dass sie gleich darauf Coltranes „A Love Supreme“ und Pharoah Sanders’ „Karma“ aufzählt, hatte man eher erwartet. Dann schwärmt sie noch ausführlich von Wayne Shorters Blue Note-Platten. „Aber auch die Energie des Punk, den ich als Tenager gehört habe (und manchmal heute noch) hat was. Bestimmte Popmusik auch.“ Vehement verteidigt sie die Wurzeln ihrer unikären Musik. Viele von ihnen reichen zurück in die 60er und 70er Jahre, als Jazz und Rock gleichermaßen ihre Revolutionen veranstalteten. Auf die Frage nach Macho-Tendenzen im Jazz sagt sie: „Ich finde, ein bisschen Macho gehört zum Jazz. Wetteifern kann sehr positiv sein. Manchmal mag ich Battles auf Sessions, wenn man sich gegenseitig, Verzeihung, in den Arsch tritt.“
In ihrer Musik ist sie deswegen nicht zur Kopistin geworden. Im Gegenteil. „Es soll offen bleiben aus Prinzip. Ich mag das gerne, wenn sich etwas ganz anders entwickeln kann.“ Die größte Gefahr ist die der Selbstreproduktion. „Ich habe mal in einer Big Band gespielt, wo der Leader jeden Abend an derselben Stelle dieselben Witze gemacht hat. Da konnte ich nicht mehr lachen. Da musste ich fliehen.“ Wie aber motiviert man sich für sein eigenes Ding? „Nach dem Lustprinzip. Jetzt zum Beispiel gibt es viele neue Stücke, auf die hab ich richtig Lust. Und überhaupt habe ich ein Kämpfer-Gen.“ Heute unterrichtet sie selbst in einer fünf Fahrradminuten von ihrer Wohnung gelegenen privaten Musikschule. „Im Moment find ich meine Kleinen alle ganz süß. Die spiegeln ja wieder, was ich ihnen vermittle, und davon lerne ich ja auch was.“
Und wie ist das nun mit den Einflüssen von Coleman, Coltrane, Dolphy und Monk? So vordergründig, wie das immer wieder behauptet wird, kann man die doch tatsächlich nicht hören? „Nö, genau. Ich versteh das auch nicht. Es könnte viel öfter Kenny Garrett genannt werden. Den hört man doch viel mehr bei mir. Ich mag seinen Sound und seine Wahnsinnsenergie, zum Beispiel wenn er mit Pharoah Sanders spielt. Da ist dieser Spirit, der über die Generationen weitergegeben wird. Natürlich hab ich mal eine Weile Coleman gehört und ich find den auch toll, aber es ist nicht so, dass mich das wahnsinnig geprägt hätte. Auf Dolphy steh ich total, und es gibt bei mir durchaus ein paar Elemente von ihm. Insgesamt aber klappen solche Katalogisierungen nur bedingt, denn ich lerne ja auch niemanden kennen, weil ich dann sagen will, dass er wie der und der ist. Das wäre langweilig.“
Kathrin Lemke hat für Film und Hörbücher komponiert, hat von 2001 bis 2003 intensiv mit Sandra Weckert gearbeitet, neuerdings auch mit den Saxophonkollegen Matthias Schubert und Almut Schlichting. Mit ihr realisiert sie gerade ein Projekt mit Hexenliedern, bei dem sie ausgiebig Bassklarinette spielen kann. Demnächst will sie sich endlich einen Fundus von Roland Kirk-Stücken anverwandeln und ihre Idee einer kuriosen Formation mit fünf Baritonsaxophonen, Theremin und Schlagzeug umsetzen. Wichtig ist, dass im Kopf stets ein Ideenvorrat gespeichert ist, denn eins gilt unbedingt: „Ich find es schon toll, das Instrument umzuhaben und zu betätigen. Das macht mich einfach glücklich.“



Jazzthetik (03/2009)

Berlin, Prenzlauer Berg. Der Parkplatz des Discount-Supermarkts wird nur begrenzt vom beweglichen Kapital eines Auto-Verleihs. Am Wochenende wird die hier aufgereihte Flotte wieder ausschwärmen, werden sich WGs auflösen, junge Familien größere Wohnungen beziehen und Hartz IV-Empfänger billigeren Wohnraum. Die „Digitale Bohéme“ sitzt woanders im Café.
Hier lebt Kathrin Lemke, sie ist „Zugpferd, Initiator“ des Quartetts JazzXclamation, das gerade sein drittes Album vorgelegt hat: Odds and Ends heißt die CD im schwarz/weiß/roten Linolschnitt-Design des Berliner Labels Jazzwerkstatt. Diese Farben prägten schon das Coverfoto der Vorgängerscheibe Aphrodite Goes Shopping (vor vier Jahren bei Konnex erschienen), das die Saxophonistin Lemke im schwarzen Kostümchen mit roter Bluse und einem Dalmatiner an der Leine zeigte. Die CD löste damals ein vernehmliches Rauschen im Blätterwald aus, am Schlagzeug hatten sich Michael Griener und John Schröder abgelöst und Kathrin Lemke selbst war als Sidewoman auf Alben wie 50 Sandra Weckert Fans Can´t Be Wrong und Barjazz bekannt geworden. Die Rezensionen schrieben sich beinahe von selbst: „So klingt Berlin: verstimmt, neurotisch, durchgeknallt, ironisch“ (Antje Rößler, Jazzzeitung) hieß es, man hörte „eins der wenigen Jazzalben, auf denen das Berliner Pflaster adäquat in Sound übersetzt wird“ (Wolf Kampmann, TIP) und auch Michael Naura war begeistert: „Ja, die ironische Musik dieser Combo ist Manna für die Hör-Muscheln.“ Dabei reimte sich JazzXclamation niemals auf Jazz-Klamauk. Der Humor dieses Quartetts ist mit dem neuen Album-Titel gut getroffen: Odds and Ends, auf deutsch: Krimskrams, Kleinigkeiten, beschreibt ziemlich genau die Freiheit, die sich JazzXclamation im Umgang mit der Tradition nehmen. Aus Mannheim war Kathrin Lemke nach Berlin gezogen, weil ihr die Mainstream-Szene mit ihrer „Musik gegen Geld“ zu eng schien – der Berliner Senat gab ihr ein Stipendium für einen New York-Aufenthalt, der ihre alte Liebe zum HardBop wieder beflügelte. Als sie zurückkam, gründete sie ein Quintett – doch die klassische Besetzung mit zwei Bläsern ruht schon seit längerem: „Ich dachte immer ’Ach, das Eine ist das Eine und das Andere ist das Andere’. Jetzt hab ich das Gefühl, dass es immer mehr zusammenwächst. Ein bisschen trashig find ich gut, auch so expressiv-frei, aber ich finde es auch schön, wenn´s einen Groove hat“ erklärt Kathrin Lemke – und muss gleich noch erläutern, was ‚trashig’ eigentlich meint: „Ich mag manchmal so billige Harmonien ganz gerne, wo man denkt ‚Hart an der Grenze zum Kitsch’. Oder dass man manche Sachen extra schlampig macht… Es gibt Leute, die sagen über ihre Musik ‚Ah, das war doch genagelt’, weil alles ganz kompakt zusammen ist. Das finde ich zum Beispiel nicht so reizvoll.“ Eine Ansammlung von Odds and Ends sind auch auf einem Foto aus dem Studio von Tito Knapp zu sehen, der die Platte aufgenommen hat. „Da war mal’n Kino drin“ lacht Kathrin Lemke „danach eine Zeugen-Jehovas-Kirche und jetzt ist da Tito drinne und hat alles vollgerümpelt. Aber er findet immer alles, also er ist ein ganz ordentlicher Mensch eigentlich.“ Und ganz offenbar der richtige Mann am richtigen Ort. „Ich find´s wichtig, dass ein Mischer Entspanntheit ausstrahlt. Das schlägt sich auch in der Musik nieder.“ In dem fast turnhallen-großen Raum konnte das Quartett wie im Probenraum zusammenspielen – und doch klingt die Aufnahme nicht nach Rumpelkammer-Mitschnitt, nur das intensive Miteinander der vier Musiker kommt rüber wie bei einer guten Live-Platte. So ist ein dichter Quartett-Sound entstanden, getragen vom warmen Wurlitzer-E-Piano, aus dem Zoran Terzic im Namen von Horace Silver den unseligen Supertramp-Geist ausgetrieben hat. Berit Jung liefert als Bassistin nicht nur das Klangfundaments („Es gibt so Bassisten, da hör ich nicht, was die machen“) sondern auch Ideen. Wie alle Bandmitglieder ist sie auch als Komponistin vertreten und Frontfrau Lemke freut sich „weil, das ist erdig und hat ´ne gute Energie und ich muss mir beim Solieren keine Gedanken machen, weil mir immer was einfällt. Berit finde ich, spielt super.“ Der Schweizer Schlagzeuger Peter Horisberger war lange mit Erika Stucky unterwegs gewesen und mit Ray Anderson, bevor er 2007 nach Berlin kam, wo Kathrin Lemke ihn bei einer Session kennen lernte. Solche Begegnungen sind Kathrin Lemke wichtig. Deshalb hat sie jetzt auch mit dem Schlagzeuger Philipp Bernhardt den „PrenzlJam“ organisiert, offen für Jazz von Standards bis zum freien Spiel. Soll man diese Bandbreite auch von JazzXclamation erwarten? Das wäre vielleicht doch etwas viel verlangt. Aber wer sich hier an den griffigen Hooklines, dem hart treibenden swing, der nahtlosen Zusammenarbeit an gemeinsamen Grooves freut, der sollte auch offene Ohren für expressive Solo-Ausbrüche und abstrakt-moderne Melodien mitbringen – und sich nicht wundern, wenn’s mal für ein paar Takte ein Vaudeville-Steptanz dazwischengrätscht. Tobias Richtsteig

Rhein-Neckar-Zeitung (03/2009)

"Odds and Ends", so heißt die neue CD von "JazzXclamation" (erschienen im Label "Jazzwerkstatt", 043). Die Berliner Band der aus Heidelberg stammenden Altsaxofonistin Kathrin Lemke hat nach eigenen Worten "Krimskrams", "Kleinigkeiten" aufgelegt, die für prickelnde geistige Erfrischung sorgen und auch gut ins Tanzbein gehen.
Bestens ineinander verwachsen ist das Quartettspiel, voll treibender Energie und Lockerheit. Zwischen kreativer Aufgeregtheit und Entspanntheit hält die Band die Tempi wunderbar flexibel. Beschleunigt oder verlangsamt mit bester Abgebrühtheit. Und das tanzt und groovt mit schöner Leichtigkeit und Lässigkeit: Bei allem spielerischen Umgang mit der Tradition ist dies eine Musik von innovativer Kraft und unverbrauchter Lust.
Komponiert haben alle vier Bandmitglieder diese 14 "Kleinigkeiten", und doch klingt alles wie aus einem Guss. Herrlich Monkish angehaucht sind etliche dieser Nummern, das heißt fröhlich verquer und in harmonischer Schräglage auftanzend. Lakonisch und schön angeraut ist der Tonfall der Saxofonistin, und daraus entwickelt sie enorme Expression und glühende Gesanglichkeit. Biegt und krümmt ihre Phrasen nach Herzenslust. Die melodische Verwegenheit ihres Spiels erinnert nicht selten an Ornette Coleman.
Exzellent besetzt ist das ganze Quartett. Zoran Terzic gewinnt seinem elektrischen Wurlitzer-Piano nicht nur den naturgeilen Sound der 70er Jahre ab, sondern würzt mit launigen Dissonanzen reichlich nach. So treibt dieser bop-orientierte Jazz spielerisch vergnüglich und heiter gelaunt immer den melodischen Reibeflächen entlang. Rainer Köhl

 



Mannheimer Morgen (01/2009)
Sie spielt Altsaxofon, als habe sie bei Eric Dolphy und Thelonious Monk studiert: Kathrin Lemke, früher in Mannheim lebend, jetzt in Berlin zu Hause, mag schräge Töne. Schrill, schroff und schnarrend klingen ihre wunderbar spannungsvollen, ungemein swingenden Improvisationen.
Und noch nie haben sie so ausgereift und ausdrucksstark geklungen wie auf auf den verschrobenen Marsch-Melodien, skurrilen Bebop-Abstraktionen und strudelnden Free-Jazz-Wogen der neuen CD "Odds And Ends" ihrer Band JazzXclamation.
Eine fabelhafte Combo hat die Saxofonistin da formiert: Schlagzeuger Peter Horisberger peitscht die Truppe mit flirrenden, wirbelnden Rhythmen furios voran. Berit Jung sorgt mit knorrigen, knarrenden Bassgriffen für zerrende, körperliche Expressivität. Zoran Terzic bringt am Wurlitzer-Piano, dem er mit Sinn für packende Dramatik
kantige Dissonanzen und kontraststarke Linien entlockt, jene verranzten Trash-Sounds ins Spiel, für die Kathrin Lemke seit jeher ein Faible hat. Ihre Musik passt in eine Welt, die ins Schlingern geraten ist.
Eine großartige Platte!
Georg Spindler

Melodiva (12/2008)
Tja, Jazz isses schon; irgendwo. Nicht zu überhören ist bereits nach 10 Sekunden die Herkunft von Ornette Coleman und Eric Dolphy Double Quartet von 1960. Das ganze swingt, ohne sich auf Changes im traditionellen Sinne einengen zu lassen. Die Melodik macht das Ganze aus.
Hier wird aufeinander gehört. Ein Beginn und ein Schluss wird abgesprochen, gegebenfalls ein Torso, und weiterhin ist mir vom Hören die kollektive Spontanität maßgeblich. Auch die Titulierung zeugt von einer guten Portion Kreativität, ein Stück heißt "Professor", gefolgt von "Du mich auch" und wird zum versöhnlichen Abschluss einer "Ballade" geführt.
Wer gute Musik abseits des Mainstreams mag, ist hier garantiert gut bedient.
Elisabeth Ok

 

 

Ganz zwanglos zwischen Sixties und Lounge
Berliner Quartett "JazzXclamation" gastierte mit Ersatzbassist in der Cavete
Taufrischen Jazz präsentierten "JazzXclamation" um Frontfrau Kathrin Lemke in der Cavete

Wenn es um Jazz geht, kann der geneigte Betrachter ebenso schnell auf ungeahnte Kreativität wie auf Borniertheit stoßen, auf selbstgefällige Eitelkeit wie echte Leidenschaft. Nur gut, dass JazzXclamation aus Berlin am Mittwoch in der Cavete wirklich nur die beste Seite des Genres repräsentierten. Aber dafür sind die vier Berliner ja auch bekannt.
Schon seit 1998 macht das Quartett um die Saxophonistin Kathrin Lemke gemeinsam Musik, und aus dem Experiment sind mittlerweile schon zwei CDs und ein ganzer Berg begeisterter Kritiken entstanden. Als "Jazz, der für die Gegenwart gemacht" ist, "Musik frei von Scheuklappen" sowie "Energie und Witz" jubelten die Rezensenten.
Die kollektive Begeisterung der Kritikergilde teilten am Dienstag-
abend ohne Einschränkung rund 20 Zuhörer. Durch den schwanger-
schaftsbedingten Ausfall der Bassistin hatte sich das Quartett nicht davon abhalten lassen, Marburg anzusteuern - wozu gibt es Ersatz-Bassisten?
Mit ebenso ungewöhnlichem wie mitreißendem Sound wussten die Berliner ihr Publikum in die ganz eigene Klangwelt von JazzXclamation zu entführen. Und in dieser Welt scheint alles möglich.
Ganz zwanglos bedient sich die Formation bei den Sounds der 60er ebenso wie beim zeitgenössischen Lounge-Jazz, erzeugt dabei ganz eigene Klanggebilde, und dann und wann löst sich alles auch in einem wüsten, hyperaktiven Krachteppich auf, in dem man mitunter glaubt, Zeuge einer Art Bass-Vergewaltigung zu werden.
Als Zuschauer kann man da nur staunen. Oder applaudieren. Am besten allerdings beides - was die Gäste in der Cavete denn auch ausgiebig und frenetisch taten. Simon Rohling

 

Gezauselte Linien
Schrullig und schräg: JazzXclamation im Jazzkeller Frankfurt
VON GERD DÖRING

"Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin. . ." - Fußballfans strömen Jahr für Jahr ins Olympiastadion, Jazzmusiker ziehen gleich ganz an die Spree und so hat es auch Kathrin Lemke gemacht. Die in Heidelberg geborene Saxofonistin hat lange an der Frankfurter Musikwerkstatt studiert (bei Daniel Guggenheim und Heinz-Dieter Sauerborn), seit 1999 lebt sie in Berlin. Auch Peer Neumann hat den nämlichen Weg beschritten, hat in Frankfurt studiert, um dann nach Berlin zu gehen. Die Hauptstadt also. Was ist dran am Geraune um die Berliner Szene? Offenbar viel. Aus den Kompositionen der jüngsten CD von Kathrin Lemke hören die einen den "Pendelschlaf urbanen Lebens", die anderen sehen "das Berliner Pflaster adäquat in Sound übersetzt". Michael Naura lobt: "Da tropft der Saft des Sounds und man leckt sich die Lippen!" Oha.

Im Jazzkeller präsentiert sich Lemkes JazzXclamation als solid eingespieltes, groovebetontes Quartett, das dem Klischee von der hektischen Großstadtband so gar nicht gerecht wird. Ein wenig sperrig klingt das (wie auch der Bandname), aber auch sehr sanglich, mit flüssigem Spiel auf dem Saxofon. Eric Dolphy ist da nicht fern, neben Thelonius Monk und Ornette Coleman ein weiterer Fixpunkt für Lemke, die sich im Konzert ganz auf das Spiel auf dem Altsaxofon beschränkt. Ein hibbeliges Rhythmus-Duo hat sie im Rücken und einen Tasten-Wizzard an der Seite. Peer Neumann sitzt ein wenig beengt zwischen Klavier und E-Piano, aber das hindert seinen Ideenfluss kaum. Da mag es hinten noch so rappeln und klappern, die beiden liefern davor eine fabelhaft Tour de force zwischen avanciertem freien Spiel und schrägem Souljazz. Melodiös schwebt das Saxofon über dem Interplay der Kollegen - keine Frage, wer hier das Sagen hat.

Nicht nur alle Kompositionen stammen aus der Feder von Kathrin Lemke, sie moderiert auch den Abend. "Man muss die Leute‚ schon so sein lassen wie sie sind", so sagt sie im Interview mit der Jazzjournalistin Carina Prange. Da darf also der eine (Timo Neumann am Schlagzeug) sein Ungestüm ausleben, der andere (Stephan Bleier am Kontrabass) den Hang zum Blues und der Electronica-Fan packt sein Ideenkörbchen aus. Von JazzXclamation hört man wenig Gefälliges, dafür aber eine Menge schrulliger Kompositionen und faszinierendes Aufeinander reagieren: oft sind es simple Melodien, die in eine Nummer hineinführen, zuweilen ist es ein musikalischer Gimmick - mit einem Spielzeugklavier beginnt Invader, mit einer Melodica-Sequenz der in (in der Tat sehr) Kaputte Walzer. Die Stücke nehmen kräftig Fahrt auf, die Linien werden gezauselt, aber sie überstehen wunderbarerweise alle Attacken: selbst die immer wieder von schrägsten Orgelklängen gebeutelten Noten von Aphrodite goes shopping, dem Titelstück der aktuellen CD (Konnex Records), halten sich tapfer aufrecht.


"In Sachen Blasen ganz weit vorne"

Die Gruppe "JazzXclamation" spielt im Rüsselsheimer Kulturzentrum "das Rind"

RÜSSELSHEIM Gerade erst hat die neue "Jazzcafé"-Saison begonnen und schon ist vieles anders. Eine "Austritts-Kasse" beispielsweise gibt Besuchern der eintrittsfreien Jazzbühne von nun an die Möglichkeit zur Spende an die Künstler. Die größten Neuerungen gingen am Sonntag aber auf das Konto der Band "JazzXclamation". Die ursprünglich aus hiesigen Gefilden stammende Combo um Saxophonistin Kathrin Lemke hat sich schon seit einigen Jahren in Berlin niedergelassen und gab im "Rind" ein expressives Konzert zwischen Step-Dance-Überraschung und Seifenblasen-Happening.

"Rüsselsheim ist in Sachen Blasen ganz weit vorne", lobte Kathrin Lemke nach der Traum-inspirierten Ballade "Hear that bear, how he sings". Um hierzu ein wenig Leben ins Publikum zu bringen, hatte die Band Seifenblasen ausgeteilt, die von den Gästen gepustet die "Traum-Atmosphäre" verdeutlichen sollten.

Der überraschenden Aufführungspraktiken nicht genug, gesellte sich später am Abend mit Kajo Stelter auch noch ein Stepptänzer zum Quartett und solierte springend zum Titelsong des aktuellen Albums "Aphrodite goes shopping".

Auch schon vor den Überraschungen war klar geworden: Hier steht eine Band, die dem verkopften Jazzakademiker zwar musikalisches Kraftfutter serviert, das Ganze aber mit einer guten Portion Humor und Augenzwinkern garniert. Wer lachenden Musikern misstraut, für den ist "JazzXclamation" jedenfalls die falsche Wahl. Zuhörer, die vor allem Individualität schätzen, werden dagegen begeistert sein. Denn selten trifft unbekümmerter Ausdruck von Emotion auf einen so fruchtbaren weil spieltechnisch eloquenten Boden wie im Falle von Kathrin Lemke und ihren drei Kollegen.

Die Frontfrau, von der alle Kompositionen und der Großteil der melodischen Arbeit ausgehen, zeigt neben jeder Menge Spielwitz vor allem eine riesige Palette an Klangfarben. Von klackernden Ventilklappen über samtige Läufe bis hin zu derbem Trötensound ist alles erlaubt - was auch für die Band im Ganzen gilt.

Peer Neumann an Rhodes und Synthesizer quietscht und schlenkert sich, zumeist Lemkes Melodiebahnen kreuzend, durch das Set, während Stephan Bleier aus dem Kontrabass auch die letzten Lautstärke-Reserven mobilisiert. Und gerade wenn man denkt, alles ende nun im kollektiven Instrumentalexzess, kommt von Drummer Timo Neumann ein alles besänftigender Swingbeat, der das überraschende Moment der Band vervollständigt. André Domes

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Cadence (02/2005)
APHRODITE GOES SHOPPING is the second release by saxophonist KATHRIN LEMKE under the JAZZXCLAMATION banner, with both keyboardist Peer Neumann and bassist Stephan Bleier returning from 2001’s Psycho Potatoes. With John Schröder and Michael Griener manning the collective drumkits , and Lemke dolled up very smartly with a Dalmation on the front cover, this is a waywardly nutty affair that mixes groove music with the kind of hip humor one would expect from an associate of Willem Breuker. Neumann’s keyboards include Wurlitzer and Fender Rhodes, which he’s not afraid to modify, while the leader’s alto sax is pithy and playful. Consequently, much of this resembles a cross between Sun Ra’s 1978 quartet recordings, crossed with Medeski, Martin & Wood. Not so far out to alienate purists, yet not so far-in to dismay the adventurous, Lemke’s band is well worth hearing.

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Rondo (01/2005)
Im CD-Booklet beschreibt sich Kathrin Lemke als „brave woman in the very mean world of jazz“. Was die in Berlin lebende Saxofonistin damit meint, bleibt unklar. Schließlich ist sie es doch, die mutige Frau, die total gemein zu Gevatter Jazz ist. Sie tut ihm schlimme Sachen an. Nimmt ihn mit zum Einkaufen, was bekanntlich die Höchststrafe für Männer ist, und trötet ihm mit hysterischem Albert-Ayler-Alt die Ohren zu.
Dann verschleppt sie ihn in Schuppen, wo man zu dröhnenden Pornoorgeln kaputte Walzer und nervenkranke Tangos tanzt. Zum Schluss gesteht sie ihm auch noch: When I see you walking through the door, gotta confess: I don’t want you no more!“ Das singt sie durchs Telefon. Und hört sich dabei an wie Diana Krawall.
Es ist kein Zufall, dass John Schröder, einst Schlagwerker bei „Der rote Bereich“, auf dem neuen Tonträger der von Lemke 1998 gegründeten Band JazzXclamation aushilft. Hier wie da ist hauptstädtische Kauzigkeit, humorgestählte Musikalität und Nonkonformität Trumpf. Bei JazzXclamation – bestehend aus dem hervorragenden Wurlitzer- und Orgel-Freak Peer Neumann, dem Bassisten Stephan Bleier und dem Drummer Michael Griener – kommt nach dem willen der Leitwölfin noch die Lust an der gerissenen Dekonstruktion solistischer Macho-Klischees hinzu. Sowie das Faible für musikalische Zwischenspiele, die irgendwie nach Raumpatrouille Orion klingen. Oder nach nie veröffentlichten Soundtracks von Terry-Gilliam-Spielfilmen. Nach dem Motto: Fear and Loathing in Las Prenzlbergas. Schön bekloppt. Und manchmal bekloppt schön. Josef Engels

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Stereoplay (01/2005)
Soll noch einer sagen, in Berlin tue sich nichts. „Aphrodite Goes Shopping“, das zweite Album des Quartetts JazzXclamation um die Saxofonistin Kathrin Lemke, manövriert mit Energie und Witz an den Klischees der Avantgarde vorbei und bringt zugleich psychedelische Steigerungsmomente und raffiniert arrangierte Reduktion zusammen. Diese Musik hat die Luft der Sechziger geschnuppert, setzt ihr aber den ironisch lässigen Atem der Gegenwart entgegen. Pfiffig.
Ralf Dombrowski

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Jazzpodium (12/2004)
Um Stile und Stimmungen kümmert sich JazzXclamation nicht. Das Berliner Quartett macht sie einfach, unprätentiös und unbekümmert. Auf dem zweiten Album führt die Saxophonistin Kathrin Lemke, die sämtliche Stücke geschrieben hat, ihre Band zu unzähligen Höhepunkten. Aus düsterer Stimmung steigt das Saxophon hervor, markiert die Orientierungspunkte. Mal quengelnd, näselnd, durch Intervalle hetzend, mal choralhaft, fast hymnisch gestaltet Kathrin Lemke ihre Soli. Sie lässt sich nicht beirren, egal, ob ihr die Band dumpfe Rock-Rhythmen liefert, Free-Ergüsse oder gefälligeren Rhythm'n'Blues. Nah am Abrund wird der Hörer mitgerissen von dem frechen Mix aus Funk, Boogie, Walzer, Swing und Marsch. Nach jedem zweiten Stück freilich hat Lemke sinnig Ruhepunkte gesetzt ("...meanwhile"), um den Hörer nicht ganz wahnsinnig zu machen. Bei swingenden Einschüben und glänzendem Straight-ahead-Jazz erholt er sich immer wieder prächtig - um anschließend wieder vom Sog forschen Musizierens mitgerissen zu werden. JazzXclamation geht stets in die Vollen. Reiner Kobe

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Jazzthetik (12/2004)
Die Saxofonistin Kathrin Lemke macht schon eine ganze Weile mit ihrer Band JazzXclamation nicht nur die Berliner Szene unsicher. Nach den Psycho Potatoes, ihrer Debüt-CD, geht Aphrodite nun shoppen - und die CD ist auch so schräg, wie ihr Titel vermuten lässt. Auf dem coolen Cover steht Kathrin Lemke in schicken Klamotten, ordentlich aufgedonnert und mit einem Klasse-Dalmatiner an der Leine. Und nach "aufgedonnert mit Punkten" klingt die CD auch; wilde Gruppenimprovisationen wechseln sich mit kurzen Interludes ab, ausgeschriebene getragene Melodien wandern ins frei-experimentelle ab, spacy mit Rhodes und Melodika gegen kochend-laute Momente. In einem der vielen Mittelpunkte steht die persönliche Abrechnung der Saxofonistin mit "the man who broke my heart so I could write that wonderful tune on track 13". Der Text, der einem beim Durchlesen plakativ-platt vorkommt, ist beim Anhören der Megaphonstimme und Swingdingeling wieder so lustig, dass jegliche Plattitüden vergeben sind. Beeindruckend an JazzXclamation ist das Konzept, da hier ein Kollektiv arbeitet, auch wenn zwei Solisten im Vordergrund stehen. Kathrin Lemke stellt ihre musikalischen Ideen am Altsaxofon mit viel Feuer vor, und mein wahrer Favorit der CD ist der Keyboarder Peer Neumann der als genialer Soundwizzard fungiert und Klavier mit Bodenhaftung, Rhodes in Outer Space und Wurlitzer mit einer gehörigen Portion Humor spielt. Angela Ballhorn

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Hamburger Morgenpost (12/2004)
Jazz und Humor – das muss nicht unbedingt ein Widerspruch sein. Die Berliner Band JazzXclamation um Saxofonistin Kathrin Lemke spielt Eigenkompositionen mit einem Augenzwinkern, pendelt zwischen klassischem Piano-Sound, trashigem Easy-Listening und experimenteller Improvisation. Keine leichte Kost, aber originell.
Gerd Bauder

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Rhein-Neckar-Zeitung (12/2004)
Abgebrühter Neobop
Neue CD der Ex-Heidelberger Saxophonistin Kathrin Lemke
"Berlin kommt unserem experimentellen Stil sehr entgegen", sagt die aus Heidelberg stammende Saxophonistin Kathrin Lemke, die mitsamt ihrem Quartett vor einigen Jahren in die Bundeshauptstadt abgewandert ist. Die Berliner Luft und deren offener Geist scheint der Jazzmusikerin und ihren Mitstreitern ausnehmend gut zu bekommen. Die CD "Aphrodite Goes Shopping" ihrer Band "JazzXclamation" bringt die Schrägheiten lustvoll zum quellen. Das Fender Rhodes Piano und die Orgel von Peer Neumann schwurbelt, quietscht, blubbert und kreischt so verwegen, dass es eine expressive Höllenfreude ist, zumal der Musiker seinem Instrumentarium mit Verzerrer und Wah-Wah zu Leibe rückt. Zusammen mit dem perfide scheppernden, raffiniert percussiven Schlagzeug und dem satt groovenden Kontrabass ergibt sich eine treffliche Basis für musikalische Verwegenheiten. Dazu spielt Kathrin Lemke das Altsaxophon ebenso abgebrüht lakonisch wie intensiv und hymnisch vibrierend. Die schlingernden, irreal verbogenen Melodien liebt sie. Dass das Tanzbare mit harmonischen Schrägheiten wunderbar zusammengehen kann, weiß man nicht zuletzt von Monk. Dieser scheint für dieses Spiel und die lakonisch-gewitzten Kompositionen Kathrin Lemkes ebenso ein Fixpunkt zu sein wie Ornette Coleman. Bei alldem ist die Musik von "JazzXclamation" von ebenso großer Eigenständigkeit wie Vielgestaltigkeit, die nur zu gerne auch mal Funk oder Ska in diesen lustvoll angeschrägten Neobop einschwenken lässt. Das groovt und tanzt ungemein, kommt dieser Jazz genauso hip wie experimentell daher, mit verwegenem Geist und Gewitztheit satt erfüllt. Rainer Köhl

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Fono Forum (12/2004)
Erfrischend
Lassen Sie sich durch die Musik nicht beeinflussen!“, so der Rat der Gruppe an den Rezensenten. Lassen wir uns also nicht beeinflussen von einem Sound, so frech wie diese Aufforderung! Die Berliner Band um die Altsaxophonistin Kathrin Lemke schickt die Schönheitsgöttin Aphrodite zum Einkaufen. In den Korb legt sie ihr einen herzerfrischend schrägen „Fake Jazz“ à la John Lurie, der sich mal cool und entspannt gibt, mal zickig und aufgekratzt. Da röhrt und säuselt das Alt, poltert und scheppert das Drum-Set, brodelt das Fender-Rhodes. Zwischen Easy-Listening-Persiflage, Nu Jazz und Experiment stimmt Kathrin Lemke den „Liberation Song of a Brave Woman“ an. Durchs Megaphon. Berthold Klostermann

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Jazzthing (11/2004)
17 Tracks haben den Weg auf die neue CD der Berliner Formation JazzXclamation gefunden. Auf „Aphrodite Goes Shopping“ offenbaren die Musiker um die Bandleaderin und Saxofonistin Kathrin Lemke vor allem augenzwinkernden Witz und hintergründigen Humor, mit denen sie frech Funk und Modern Jazz, Rock und Eletronica verrühren – eben typisch für die junge Jazz-Szene in der deutschen Hauptstadt.
Martin Laurentius

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Jazzzeitung (11/2004)
So klingt Berlin: verstimmt, neurotisch, durchgeknallt, ironisch. Wer Auswärtigen die Stimmungsvielfalt zwischen Spandau und Neukölln nahe bringen will, muss nur zum neuen Album von JazzXclamation greifen. „Aphrodite goes Shopping“ lautet der mysteriöse Titel. Der humanistisch gebildete Hörer erinnert sich, dass die Göttin Aphrodite für ihre Schönheit bekannt war. Über ihr Konsumverhalten ist uns Heutigen jedoch nichts bekannt. Die (einkaufslustige?) Dame auf dem CD-Cover mit trendigem Dalmatiner an der Leine hilft auch nicht viel weiter. Aber vielleicht kann ja die Musik das Rätsel lösen: Sie weckt wie ein bewusst verwackelter Videoclip die Vorstellung einer weiblichen Schönheit mit Gucci-Täschchen und Schoßhund, die mit ihrem Zehn-Zentimeter-Absatz in einen Haufen Großstadt-Hundedreck tritt.

JazzXclamation fängt die Widersprüche und Alltagsfrustrationen des Großstadtlebens gekonnt ein. Stücke wie Asphaltklang“ oder „Kaputter Walzer“ spiegeln den Pendelschlag urbanen Lebens zwischen hektischer Aktivität und Melancholie. Treibende Kraft bei JazzXclamation ist die junge Saxophonistin Kathrin Lemke. Sie studierte in Heidelberg Geisteswissenschaften, bevor sie sich beruflich auf den Jazz einließ. Seit Abschluss ihrer Ausbildung 1999 wohnt sie in Berlin. Nach eigenem Bekunden ist Frau Lemke „seit Jahren 29“. Selbstironisch nennt sich die Musikerin im Booklet der CD eine „brave woman in the very mean world of jazz“. Tatsächlich ist sie ein ziemlich schweres Kaliber für alle jene Hörer, die sich bei sanften Saxophontönen und mit einem Cocktailglas in der Hand entspannen wollen. Kathrin Lemke bläst ihnen ihre Erwartungen gnadenlos um die Ohren. Das Klischee von Frauen im Jazz, die nett herumstehen und ein bisschen singen, wird dabei restlos zerstört. „Es enthält ja ein Fünkchen Wahrheit“, gesteht die Saxophonistin und fügt hinzu: „Dadurch fühle ich mich aber nicht benachteiligt. Im Gegenteil. Ich finde das eher lustig. Und freue mich, wenn die Leute sich dann wundern.“

Zu wundern gibt es auf dieser Scheibe Einiges, zumal das Quartett seine eigene musikalische Handschrift hat, die sich gebräuchlichen Schubladen konsequent entzieht. Das Repertoire von JazzXclamation stammt gänzlich aus der Feder Kathrin Lemkes. Das titelgebende Stück „Aphrodite goes Shopping“ erinnert an die kargen, verzerrten Themen von Thelonious Monk. In „Ambivalley“ zeigt Kontrabassist Stephan Bleier seine virtuosen Qualitäten. Teils melancholisch-melodisch, teils eingängig-populär geben sich die Melodien des Albums. Alles jedoch wird verfremdet und ironisch gebrochen. Zu ungewöhnlichen Klangverfärbungen trägt auch Peer Neumann am E-Piano bei. JazzXclamation ist nicht das einzige musikalische Projekt von Kathrin Lemke. Das Trio „Anke und die Seemannsbräute“ mit zwei Saxophonen und Stimme will „Furchtlos Klischees verwenden und zerstören“ ­ so die bedrohlich klingende Ankündigung auf der gelungen Internetseite www.Kathrinlemke.de. Nicht weniger obskur gibt sich „Protoplasma’s Little Brother“ ­ ein elektroakustisches Duo mit dem Kölner Organisten Frank Stanzl. Mit ihren Kollegen von JazzXclamation plant Kathrin Lemke ebenfalls weitere Aufnahmen und Konzerte. Möge ihr Aphrodite Glück und Erfolg bringen. Dass die Göttin häufig mit einem spöttischen Lächeln dargestellt wurde, scheint sie zur passenden Beschützerin für die sympathische Künstlerin mit dem bissigen Humor zu machen.
Antje Rößler

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Darmstädter Echo (11/2004)
Frisch durch den Jazzwolf gedreht
Rockjazz ist der doppelsinnige Name einer Reihe von Konzerten, die das Darmstädter Jazzinstitut ausgerichtet hat. Denn als Rockjazz bezeichnet man keineswegs nur die populäre Stilrichtung, sondern auch die vielen weiblichen Musiktalente, die sich häufig mit ihren Gruppen im Gewölbekeller unterm Jazzinstitut präsentierten.
Das Quartett „JazzXclamation“ der Berliner Saxofonistin Kathrin Lemke nimmt dabei eine besondere Position ein. Zum einen ist sie auf dem Cover ihrer CD „Aphrodite Goes Shopping“ im modischen Rock zu sehen, zum anderen rockte es instrumental gewaltig, doch die musikalische Garderobe ist weitaus vielfältiger.
Originelle Titel wie „Asphaltklang“ oder „Ambivalley“ deuten auf Eigenständigkeit und belegen die Suche nach einem unverwechselbaren Klang in der Standardbesetzung Saxofon, Klavier, Kontrabass und Schlagzeug. Im Mittelpunkt steht der „Liberation-Song of a brave Woman“, eine akustisch-verbale Befreiung aus verschiedensten Beziehungen.
Das Quartett webt an einem Netz aus Soul-, Free- und Rockjazz, das gelegentlich klassische Elemente einfängt, um die swingende Melange kreativ durch den Jazzwolf zu drehen. Das Ergebnis ist nicht immer leicht verdaulich, doch entstanden ist eine bemerkenswerte Scheibe, fernab vom üblichen Einheitsbrei. Hans-Dieter Vötter

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Hessische/Niedersächsische Allgemeine (11/2004)
Ironisch-zickiger Großstadt-Jazz
Wer sich mit Easy-Listening-Jazz als Hintergrundmusik entspannen will, sollte die Finger von der neuen CD "Aphrodite Goes Shopping" des Berliner Quartetts JazzXclamation lassen. Deren Jazz klingt nicht geschmeidig-cool, sondern zickig und schräg, ironisch verfremdet, verzerrt. Elektronische und akustische Klänge werden zu einer ganz eigenen Melange zusammengefügt. Kathrin Lemke, die hinter der Produktion steht, die Stücke selbst geschrieben hat und deren Saxofon die Platte prägt, macht Jazz für die Großstadt. Dazu passt das Booklet, das sie im Karo-Kostüm mit Dalmatiner an der Leine zeigt. Cool, urban und: ein wenig zickig. Stücke wie "Kaputter Walzer" und "Asphaltklang" zeigen schon im Titel, wo es stilistisch hingeht. Der Humor dieser toughen Lady des Jazz, die ihr Alter als "seit Jahren 29" angibt, hebt sich wohltuend von so manch aktueller Jazz-Produktion ab. Bettina Fraschke

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Michael Naura (10/2004)
Musik-Manna
Nichts gegen Charlie Parker. Aber manchmal muss man ihn beiseite legen. Das gelingt grandios der Band „JazzXclamation“.
Shit, selten solch eine Musik gehört, die wie ein erfrischendes Vollbad wirkt. Ellington? Achja, bleib’ nur in der Gruft, Du ewiger Gigant.
Die Musik von „JazzXclamation“ ist wie eine Fortschreibung von Satie, der mit der Zukunft kopuliert. Da tropft der Saft des Sounds, und man leckt sich die Lippen, Verzeihung, die Ohren! Ja, die ironische Musik dieser Combo ist Manna für die Hör-Muscheln. Allerdings nicht für jene, die an ihren Ohren verschimmelte Musik-Hüte aufhängen.

 

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TIP (12/2004)
Eleganz, Groove, Power und eine Spur Großkotzigkeit zeichnen den urbanen Jazz des Quartetts JazzXclamation um Saxofonistin Kathrin Lemke aus. Frei von Scheuklappen vermittelt die Band zwischen dem Free Jazz der Sechziger, der Avantgarde der Achtziger und zeitgenössischem Lounge Jazz. Musik ohne Stillstand und somit eins der wenigen Jazzalben, auf denen das Berliner Pflaster adäquat in Sound übersetzt wird. Wolf Kampmann

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Der Tagesspiegel (10/2004)
So könnte Jazz klingen, der für die Gegenwart gemacht ist: mal grob wie ein Heavy-Metal-Riff, mal zärtlich-verspielt wie eine Pop-Ballade. Das Quartett um Saxophonistin Kathrin Lemke hat all diese Klangfarben drauf. Es entspinnt flackernde Tongebilde. Die könnten auch einen Thriller untermalen, so Spannungsreich irrlichtern sie durch Songs, die "Kaputter Walzer" oder "Liberation-Song Of A Brave Woman" heißen und sich mitunter in wüst-hämmernden, spitz-fiependem Kollektivkrach auflösen. Das ist raffiniert, gerade in seiner kindlichen Zertrümmerungsgeste. Kai Müller

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kontakt: mail@kathrinlemke.de